Die Olympischen Spiele haben begonnen. Die Welt schaut nach Paris, wo Athleten aus aller Welt um Ruhm und Ehre kämpfen.
Ich steige im Norden von Norwegen, fernab von all dem Trubel auf abgelegene Gipfel, ohne Fernseher und merke plötzlich: Die Faszination, die ich einst für Olympia empfand, ist irgendwie verblasst. Ein innerer Wertewandel hat sich vollzogen. Mein Leben dreht sich heute um ganz andere Dinge als um die Olympischen Spiele.
Mein Herz ist zweigeteilt. Einerseits anerkenne ich die Bedeutung der Olympischen Spiele für mich – sie waren ein wichtiger Teil meines Lebens. Andererseits frage ich mich, wie relevant und richtig Olympia heutzutage überhaupt noch ist. Repräsentieren die Spiele noch die Werte, die einst im Vordergrund standen?
Bereits in Turin wurde mir klar, dass Olympia nicht mehr das ist, was Pierre de Coubertin einst propagierte.
Seitdem hat sich die Situation verschärft. Dies wirft Fragen auf, die auch du dir vielleicht stellen darfst: Welche Werte sind für dich wichtig und wie beeinflussen sie dein Leben?
Jedes System durchläuft momentan einen Wertewandel – sei es Bildung, Politik oder Finanzen. Olympia ist nur ein kleiner, aber repräsentativer Teil.
Ein Beispiel für diesen Wandel ist die Diskussion um Geschlechterkategorien bei den Sommerspielen. In der Leichtathletik gibt es immer mehr Fälle, in denen die traditionelle Einteilung in Männer und Frauen nicht mehr eindeutig ist. Dies stellt die klare Gendereinteilung vor Herausforderungen.
Ich hätte mich persönlich wohl extrem genervt, wenn plötzlich nicht mehr klar gewesen wäre, gegen wen man trainiert und antritt. Man investiert viel Zeit und Energie in das Training, nur um dann herauszufinden, dass man möglicherweise gegen jemanden antritt, der biologisch gesehen ein anderes Geschlecht hat. Diese Unklarheit und das potenzielle Ungleichgewicht hätten mich enorm frustriert.
Gleichzeitig sind Offenheit, Individualität und Selbstbestimmung in mir tief verankerte Werte.
Wie gehen wir also mit dieser sensiblen Thematik um?
Ein Spiel mit vielen Facetten
„Mögen die Spiele beginnen.“ Welche Spiele? Bei Olympia handelt es sich um die Olympischen Spiele, doch das Wort „Spiel“ könnte eine Neubewertung benötigen.
Denn welches Spiel wird hier eigentlich gespielt? Ist es ein Monopoly, bei dem es darum geht, wer am meisten kauft und besitzt? Oder ein Gladiatorenspiel, in dem Athleten um ihr Überleben kämpfen? Vielleicht ist es auch ein Hütchenspiel, bei dem es darum geht, wer wen überlistet und am Ende gewinnt.
Welche Spiele wünschen wir uns als Gesellschaft? Welche Werte sollen sie repräsentieren? Pierre de Coubertin hatte eine Vision, aber die aktuellen Bedürfnisse der Menschen, insbesondere der Jugend, haben sich weiterentwickelt.
Wäre es nicht spannend, ein Jahr zu erleben, in dem die Olympischen Spiele in ganzen Ländern oder Ländergruppen ausgetragen werden?
Ein Jahr, in dem Gemeinschaftsdenken und Zusammenarbeit im Vordergrund stehen?
Der Wettkampf darf weiterhin bestehen, denn er liegt in der menschlichen Natur. Aber das geografische und organisatorische Umdenken könnte zu einer völlig neuen Olympia-Erfahrung führen. Auch die Rolle der Sponsoren sollte überdacht werden.
Welches Spiel möchten junge Menschen spielen? Wie kann Olympia die Menschen voranbringen? Denn der Olymp, das ist etwas Hochgestecktes.
Vielleicht sollte sich jeder Mensch fragen: Was ist mein persönlicher Olymp? Wofür setze ich mich ein?
Diese Frage habe ich mir auch bei meiner Olympiateilnahme gestellt.
Damals war mein Ziel klar: Ich wollte mein Wissen und meine Erfahrung an Menschen weitergeben. Dieser Antrieb half mir, Olympia-Gold zu gewinnen.
Heute frage ich mich: Was ist mein neuer Olymp? Welche Werte treiben mich an und wie kann ich sie in mein Leben integrieren?
Genau das wünsche ich mir auch für Olympia, die Gesellschaft und dich: Wir müssen uns auf allen Ebenen fragen: „Was wollen wir wirklich?“ Nur durch diese Frage finden wir die richtigen Antworten.
Und dennoch … ich wünsche allen Teilnehmenden einen fairen Wettkampf und ein unvergessliches Erlebnis in Paris!